Eine Ausbildung nach dem Ausstieg aus der Uni lohnt sich und mündet oft in eine Führungsposition. Diese Möglichkeit wird aber zu selten genutzt.
Paul ist einer der Besten seines Jahrgangs. Er studiert Jura, sein Schnitt liegt bei 14 von 18 Punkten – mit neun Punkten im Staatsexamen stehen ihm später alle Türen offen. Aber dann kommt der Liebeskummer. Genau während der Klausurvorbereitung trennt sich seine Freundin von ihm und mit dem Lernen ist es vorbei. Paul fällt durch die Prüfung. Einen Zweitversuch gibt es nicht, denn er hat die erste Prüfung wegen eines Organisationsfehlers verpasst. Paul exmatrikuliert sich, um der Uni zuvor zu kommen.
Seit der zwölften Klasse will Carolin Röseler Lehrerin werden. „Ich hatte den Drang, jungen Leuten zu helfen, und wollte es dabei besser machen als meine eigenen Lehrer“, erinnert sie sich. Gleich nach dem Abi schreibt sie sich in Mainz für Mathe, Geografie und Bildungswissenschaften für das Lehramt an Gymnasien ein. „Am Anfang war ich voll motiviert und es hat mir Spaß gemacht“, berichtet sie. Doch nach drei bis vier Jahren schleicht sich das erste Magendrücken ein: „Schule hat sich verändert. Das war einfach nicht mehr mein Ding.“ Sie belegt immer weniger Kurse und sieht, wie die anderen an ihr vorbeiziehen und ihr Studium abschließen. Irgendwann kommen Zweifel an ihrer fachlichen Eignung auf: „Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das überhaupt schaffe.“ Das Ergebnis: Sie beschließt, ihr Studium abzubrechen.
Jeder dritte Bachelorstudent gibt auf
Pauls und Carolines Geschichten sind keine Einzelfälle. Fast jeder dritte Bachelorstudent verlässt die Uni ohne einen Abschluss, bei den Studenten der Hochschulen für angewandte Wissenschaften ist es knapp ein Viertel. Falsche Erwartungen an das Studium, zu hohe finanzielle Belastungen, Überforderung oder einfach nur eine verpatzte Prüfung – die Gründe dafür sind vielfältig. Doch nach dem Abbruch beginnt laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) weniger als die Hälfte der Studienaussteiger eine Ausbildung. Der Rest wird entweder selbstständig, arbeitet ohne Berufsabschluss oder ist arbeitslos.
Der Wechsel von der Uni in eine Ausbildung ermögliche jedoch spannende Berufschancen, erklärt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka: „Aufgrund des zu erwartenden Fachkräftebedarfs bieten sich für diese jungen Menschen attraktive Karrierechancen.“
In Bayern unterstützen unter anderem sogenannte „Akquisiteure für Studienabbrecher/innen“ umfassend beim Übergang vom Studienausstieg in eine berufliche Ausbildung. Sie informieren und beraten Studierende, die Zweifel an ihrem Studium haben, aber auch Studienaussteiger/innen, die bereits exmatrikuliert sind, über berufliche Alternativen. Sie helfen beispielsweise bei der Berufsfindung und den Bewerbungsformalitäten. Die Akquisiteure sind an allen 17 Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Technischen Hochschulen bayernweit tätig.
In Frankfurt haben sich Experten der Zentralen Studienberatungen der Goethe-Universität und der Frankfurt University of Applied Sciences, des Studentenwerks, des Hochschulteams der Agentur für Arbeit sowie der Industrie- und Handelskammer (IHK) und der Handwerkskammer (HWK) zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um einen neuen Weg zum Studienabschluss aufzuzeigen oder auch beim Ausstieg aus der Uni zu beraten.
„Mehrere Berater helfen, bis eine individuell gute Lösung umgesetzt wird“, sagt Harald Parzinski vom Projekt „Netzwerk zur beruflichen Integration von Studienabbrechenden in Hessen“. Wer zum Beispiel die an der Uni erworbenen BWL-Kenntnisse nutzen wolle und sich eine kommunikative Tätigkeit wünsche, sei bei den Profis der Agentur für Arbeit gut aufgehoben: „Die Mitarbeiter suchen mit den Studienabbrechern einen passenden Beruf und offene Stellen und unterstützen sie bei der Bewerbung.“ Sei ein Ausbildungsplatz gefunden, könne man sich mit der IHK oder der HWK über die Möglichkeiten einer Ausbildungszeitverkürzung abstimmen. Denn allein durch den Nachweis ihres Abiturs können Studienabbrecher eine reguläre dreijährige Ausbildung in der Regel um zwölf Monate verkürzen. Bei überdurchschnittlichen Leistungen könne die Ausbildungszeit nochmals um ein halbes Jahr reduziert werden, sagt Parzinski: „Liegen einschlägige Praxiserfahrungen vor – dazu können zum Beispiel auch mehrjährige Nebentätigkeiten zählen – können Studierende unter Umständen sogar gleich zur sogenannten Externenprüfung zugelassen werden und so den Abschluss einer Berufsausbildung zeitnah nach dem Studienabbruch erwerben.“
Studienabbrecher stehen hoch im Kurs
Als Studienabbrecher einen Ausbildungsplatz zu bekommen ist in der Regel kein Problem. Jeder dritte Betrieb hat schon einmal einen Studenten ohne Abschluss als Azubi eingestellt, belegt eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB). Mehr als drei Viertel der Unternehmen sind bereit, Studienabbrecher auszubilden. „Sie sind die Führungskräfte und Unternehmensnachfolger von morgen“, verspricht das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf seiner Internetseite studienabbruch-und-dann.de.
Unser Ex-Jurist Paul kämpft jetzt erstmal mit seinem Frust. Er sagt Freunden und Bekannten, dass er freiwillig gegangen und Jura nichts für ihn gewesen sei. Was natürlich nicht stimmt. Er wollte immer schon Anwalt werden. Dieser Traum ist nun geplatzt – ein schreckliches Gefühl. Paul zieht sich immer mehr zurück, spricht mit kaum jemanden, sondern hängt stattdessen den ganzen Tag in Facebook ab.
Dabei sehen Pauls Zukunftsaussichten nicht schlecht aus. Zufällig stößt er bei Facebook auf die Seite facebook.com/studienabbruchbayern der Akquisiteure, die Studienabbrecher in Bayern über berufliche Perspektiven informieren. In der Beratung zeigt sich, dass Paul nicht nur mit Gesetzestexten zurechtkommt, sondern auch mit Zahlen. Die Akquisiteure raten ihm zu einem Praktikum in einem international tätigen Münchner Unternehmen. Paul gefällt der Vorschlag. Wenig später beginnt er in der Firma eine Ausbildung zum Kaufmann für Groß- und Außenhandel und schließt sie dank guter Leistungen in anderthalb Jahren ab. Danach geht es steil bergauf – und inzwischen ist aus Paul, dem Studienabbrecher, Paul, der Vertriebsleiter geworden.
Carolin hat die Chance einer betrieblichen Ausbildung genutzt und ist inzwischen im zweiten Lehrjahr. Zwar sei sie zunächst noch weiter zu ihren Vorlesungen gegangen, räumt sie ein: „Mir war längst klar, dass ich mein Studium nicht beenden würde, aber ich wusste einfach keine Alternative.“ Dann wagte sie den Schritt, über ihre Zweifel am Studium mit anderen zu sprechen. In den Gesprächen stellte sich heraus: Eigentlich wünscht sie sich einen vielfältigen Job im Büro.
Sie bewarb sich bei Fraport, dem Betreiber des Frankfurter Flughafens, auf einen Ausbildungsplatz als Kauffrau für Büromanagement – und wurde genommen. Im Bewerbungsgespräch sei sie natürlich auch nach den Gründen für ihren Studienabbruch gefragt worden: „Aber es wurde kein Druck gemacht und ich musste mich nicht rechtfertigen.“ Das Unternehmen habe mit Studienabbrechern bereits durchweg positive Erfahrungen, und trotz ihrer 30 Jahre sei sie unter den Azubis nur die zweitälteste.
Carolins Ziel: eine Festanstellung im Rechnungswesen oder im Controlling. „Mein Studium abzubrechen war eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt sie heute.
Weitere Berufsbilder kannst du im Stuzubi Ratgeber Berufe von A bis Z kennenlernen.
Linktipps
Ausbildungsplätze für Studienabbrecher: stuzubi.de/stellenboerse
Facebook-Auftritt der Akquisiteure in Bayern: facebook.com/studienabbruchbayern
Angebote für Studienabbrecher in Berlin: queraufstieg-berlin.de
Infos und Hilfen: studienabbruch-und-dann.de