Kaum ist die Coronapandemie vorbei, erschüttern Kriege die Welt, das internationale Klima wird rauer. Eine gute Zeit, um ins Ausland zu gehen? Auf jeden Fall, sagt Regina Pfeifer, Projektkoordinatorin bei Eurodesk. Das Beratungsnetzwerk Eurodesk informiert junge Menschen im Auftrag der EU und der Bunderegierung unabhängig und neutral über Möglichkeiten für Auslandsaufenthalte.
Eurodesk kooperiert seit 2018 mit Stuzubi und berät auch auf den Stuzubi Berufsorientierungsmessen über Auslandsprogramme. Im Stuzubi Interview verrät Regina Pfeifer wie sich die angespannte Weltlage auf Angebote für Auslandsaufenthalte auswirkt, welche Zielländer besonders beliebt sind und warum internationaler Austausch gerade jetzt wichtig ist.
Stuzubi: Über mehrere Jahre hat Corona junge Leute, die ins Ausland möchten, ausgebremst. Ist die Nachfrage nach Auslandsaufenthalten inzwischen wieder auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie?
Wir erleben gerade eine große Begeisterung für Auslandsaufenthalte. Die Nachfrage ist zwar noch nicht ganz auf dem Level wie vor Corona. Wir sehen aber eine stetige Zunahme. Letztes Jahr hatten wir über 50.000 Beratungen, das waren rund 9.300 mehr als im Jahr davor, eine Steigerung um 21 Prozent. Wobei das Interesse am Ausland auch in den Corona-Jahren immer da war. Wegen der wegfallenden Präsenzveranstaltungen war es schwer, junge Menschen zu erreichen. In diesem Zusammenhang spielen auch Messen wie die Stuzubi eine große Rolle, bei denen sich junge Leute direkt vor Ort beraten lassen können.
Stuzubi: Nachdem Corona überwunden war, kam die nächste Katastrophe: der Krieg in der Ukraine. Und jetzt noch die Eskalation des Nahostkonflikts. Beeinflussen diese internationalen Spannungen das Interesse von Jugendlichen und jungen Erwachsenen an Auslandsaufenthalten?
Mein Eindruck ist, dass junge Leute nicht vorsichtiger geworden sind, sondern positiv in die Zukunft schauen. In Krisenregionen sind aber natürlich keine Auslandsaufenthalte möglich. Wir richten uns in unseren Beratungen nach den Empfehlungen des Auswärtigen Amtes. Wenn das Auswärtige Amt eine Reisewarnung ausspricht, raten wir von Auslandsaufenthalten in dem betreffenden Land ab. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober 2023 hat das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben 220 Teilnehmer*innen des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes (IJFD) zurück nach Deutschland gebracht.
Beliebte Länder für Auslandsaufenthalte
Stuzubi: Vor einigen Jahren haben wir im Stuzubi Magazin über eine junge Frau berichtet, die nach einer Beratung durch Eurodesk im Rahmen des Europäischen Solidaritätskorps (ESK) einen Freiwilligendienst in einer Jugendeinrichtung in Russland absolviert hat. Ist so etwas jetzt überhaupt noch möglich?
Für Russland, Belarus und die Ukraine gelten Reiswarnungen. Ein Freiwilligendienst im Programm des Europäischen Solidaritätskorps (ESK) ist in diesen Gebieten deswegen ausgeschlossen. Für bestimmte Maßnahmen gibt es auch keine Fördergelder mehr. Die Fördermittel für Auslandsprogramme gehen insgesamt leider zurück. Das ist sehr schade, weil für einige junge Leute dann ein Auslandsaufenthalt nicht mehr möglich sein wird. Eine Ausnahme ist hier das ESK. Das ESK wird durch die EU gefördert, die Finanzierung ist bis mindestens 2027 gesichert. Die Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Taschengeld, Versicherung sowie einen Sprachkurs werden komplett übernommen.
Stuzubi: Welche Länder sind für Auslandsaufenthalte im Moment besonders gefragt?
Europa erlebt bei jungen Menschen, die ins Ausland möchten, gerade einen Aufschwung. Immer mehr sehen bei europäischen Ländern viele Vorteile: Sie sind nah, schön und nachhaltig erreichbar. Beliebt sind auch englischsprachige Länder. Zwar gehen Auslandsaufenthalte in Großbritannien wegen des Brexits etwas zurück. Programme in den USA, Neuseeland und Australien sind aber sehr begehrt.
Stuzubi: Wie sieht es mit Autokratien aus? Können junge Leute zum Beispiel ein Auslandsjahr in China verbringen? Und würden Sie dazu raten?
Grundsätzlich ermutigen wir immer dazu ins Ausland zu gehen. Wichtig ist aber, sich vorher entsprechend zu informieren und sich dann auch an die ausgesprochenen Empfehlungen zu halten. Wir raten deshalb oft zu Auslandsprogrammen von Entsendeorganisationen, die ein Vorbereitungsseminar beinhalten. China ist kein Land, das auf der roten Liste steht. Mein Tipp: Nicht zu ängstlich sein und das Land und seine Besonderheiten kennenlernen. In China finden auch internationale Jugendbegegnungen statt, bei denen sich junge Leute aus Deutschland und China für zwei bis vier Wochen treffen und über verschiedene Themen wie zum Beispiel Klimaschutz sprechen.
Stuzubi: Sollte der Austausch zwischen Jugendlichen aus westlichen Ländern und Krisenregionen gefördert werden? Was ist ihre persönliche Meinung?
Vielleicht ist das naiv, aber ich habe die Hoffnung, dass die junge Generation sich anders begegnen kann. Deshalb sollten persönliche Treffen auf jeden Fall weiterhin stattfinden. Das ist wichtig, um Vorurteile abzubauen und Wege zur Friedensbildung zu finden. In Deutschland finden Jugendbegegnungen und Workcamps mit jungen Menschen aus der Ukraine statt.
In Hamburg wurde 2023 auch eine deutsch-russische Jugendbegegnung angeboten. Es gibt eine Stiftung für den deutsch-russischen Jugendaustausch (DRJA), die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) unterstützt wird. Die Stiftung DRJA organisiert beispielsweise eine Fachtagung unter dem Motto „Wegen der Friedensbildung im deutsch-russischen Jugendaustausch“. Eine ähnliche Organisation gibt es für den israelisch-deutschen Austausch, sie heißt ConAct.
Tipps für Auslandsaufenthalte nach der Schule
Stuzubi: Welche Tipps können Sie Schüler*innen mitgeben, die ins Ausland wollen?
Man sollte auf jeden Fall offen sein und sich Zeit nehmen. Manche Jugendliche kommen mit einer gewissen Reisebüromentalität: Sie möchten an einem geförderten Programm teilnehmen und stellen sich zum Beispiel ein bestimmtes Land oder eine ganz konkrete Stadt vor. Entspricht dann das Zielland nicht ihren Wünschen oder ist die Einsatzstelle im ländlichen Raum, lehnen sie das Angebot ab. Dabei ist Offenheit für Neues und Anpassungsfähigkeit etwas, das auch im Berufsleben eine große Rolle spielt. Wer sich auf eine alternative Option einlässt, bereut das so gut wie nie, im Gegenteil, die meisten sind im Nachhinein absolut begeistert.
Außerdem geht der Trend im Moment eher zu kürzeren Auslandsaufenthalten von bis zu drei Monaten. Natürlich sind auch ein Workcamp oder eine Sprachreise sinnvoll. Aber um ein Land richtig kennenzulernen, die Sprache wirklich gut zu sprechen und Kontakte zu knüpfen, die langfristig halten, braucht man einfach mehr Zeit. Wir empfehlen deswegen, zwölf Monate ins Ausland zu gehen – das ist keine verlorene Zeit, sondern sehr wertvoll für die persönliche und berufliche Entwicklung.
Stuzubi: Wenn Sie gerade Abi gemacht hätten und vorhätten, ein Jahr im Ausland zu verbringen: Wo würden Sie hingehen?
Ich selbst war in der siebten Klasse bei einem zweiwöchigen Schüleraustausch in Frankreich. Das war toll, ich habe gesehen, man isst dort anders, die Schule ist anders, man lernt dort anders, und ich wusste endlich, warum ich Französisch lerne. Während des Studiums war ich für elf Monate in den USA, später war ich länger in Neuseeland. Heute würde ich mich für südamerikanische Länder interessieren, zum Beispiel Chile oder Ecuador. Da ist die politische Lage zwar nicht stabil, aber meine Motivation wäre vor allem, mein Spanisch zu verbessern und die Landschaft zu erleben.
Und ich würde auf jeden Fall an einem geförderten Freiwilligendienst teilnehmen. In meiner Schul- und Studienzeit gab es das noch kaum. Ein Freiwilligendienst im Ausland hilft sehr bei der Berufs- und Studienwahl und ist auch ein Pluspunkt später bei der Bewerbung. Nach dem Schulabschluss ist die perfekte Zeit dafür, im Studium oder Berufsleben wird das sehr viel schwieriger.
INFOS & LINKS
Online-Portal von Eurodesk mit Tipps, Angeboten für Auslandsprogramme und Möglichkeiten zur Vereinbarung eines persönlichen Beratungstermins: rausvonzuhaus.de
Kriterien für seriöse Anbieter von Auslandsprogrammen: rausvonzuhaus.de/serioese-organisationen
Erasmus-Programme zum Ukrainekrieg für den Austausch mit jungen Menschen aus der Ukraine und Russland: erasmusplus-jugend.de/ueber-das-programm/ukraine-krieg
Deutsch-Israelischer Jugendaustausch: conact-org.de
Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch: stiftung-drja.de
Infos zum Auslandsfreiwilligendienst ESK: solidaritaetskorps.de
Infos zu Reisewarnungen des Auswärtigen Amts: auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/reise-und-sicherheitshinweise
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