Du bist in der Berufsorientierung und schwankst zwischen Gap Year und Studium? Du hast genug vom Lernen und interessierst dich eigentlich für eine Ausbildung, hörst aber ständig, dass man mit Abi auch an die Uni muss? Oder du stehst kurz vor dem Schulabschluss und hast keine Ahnung, wie es dann weitergehen soll? Der 26-jährige Psychologiestudent Marvin Grabowski aus Hamburg hat das alles selbst durchgemacht. Eine Erfahrung, die ihn dazu inspiriert hat, das Thema Berufsorientierung gründlich zu erforschen. Das Ergebnis: der Ratgeber „Early Life Crisis“. Stuzubi hat mit dem Buchautor gesprochen und ihn als Coach auf die Schülermesse Stuzubi geholt.
Stuzubi: Die Schule geschafft zu haben, das klingt erstmal nach großer Freiheit und vielen Möglichkeiten. Du hast deinen Ratgeber zur Berufsorientierung nach der Schule aber „Early Life Crisis“ genannt. Beginnt nach dem Schulabschluss tatsächlich für viele eine Lebenskrise?
Marvin: Auf die Zeit nach der Schule folgt nicht zwangsläufig eine Lebenskrise, aber das kann passieren. Meistens kommt das auch nicht sofort nach dem Schulabschluss, sondern schleichend, wenn man merkt, dass der Plan, den man hatte, nicht funktioniert. Wenn zum Beispiel das Jurastudium, das man angestrebt hat, einfach nicht das richtige für einen ist.
Stuzubi: Bei den unzähligen Möglichkeiten ist es aber auch gar nicht so einfach, auf Anhieb das passende Studium oder die richtige Ausbildung zu finden. Im Moment gibt es mehr als 20.000 Studiengänge und fast 400 Ausbildungsberufe in Deutschland. Wie geht man am besten mit dem Überangebot um?
Marvin: Das Zauberwort heißt Entschleunigung. Viele glauben, sie müssten sofort nach dem Schulabschluss durchstarten. Das ist aber gar nicht nötig, es kommt nicht drauf an, ob man mit 22 oder mit 24 ins Berufsleben einsteigt. Man kann sich ruhig Zeit nehmen und sich intensiv mit dem Thema Berufsorientierung befassen. Im ersten Schritt sollte man außerdem clustern. Wenn ich nicht technikaffin bin, muss ich nicht alle 4.000 Ingenieurstudiengänge kennen. Es reicht, mir erstmal zu überlegen, ob ich was mit Medien machen will, oder was Soziales, und mir dann in diesem Bereich Ausbildungen und Studiengänge anschaue. Gute Hinweise für die grundsätzliche Richtung geben auch Online-Tests wie der Orientierungstest auf stuzubi.de oder Berufsorientierungsmessen.
Ohne Bachelor keine Karriere?
Stuzubi: Für Abiturienten stellt sich außerdem auch immer die Frage, ob sie studieren oder eine Ausbildung machen sollen. In den vergangenen Jahren gab es immer einen Run auf die Unis, aber ungefähr ein Drittel der Studierenden bricht ihr Studium ab. Braucht man unbedingt einen Bachelor oder Master, um Karriere zu machen?
Marvin: Viele Abiturienten glauben, sie müssen studieren, damit sie ihre Hochschulreife nicht umsonst gemacht haben. Aber das ist ein Trugschluss. Am Arbeitsmarkt ist vor allem auch Praxiserfahrung gefragt, die an der Uni nicht unbedingt vermittelt wird. Dieser Akademisierungswahn führt nur zu hohen Abbrecherquoten.
Viele Schüler wissen gar nicht, was es bedeutet, wissenschaftlich zu arbeiten und zu recherchieren. Studieren erfordert viel Eigenverantwortung und Selbstdisziplin, das liegt nicht jedem. Auch mit der Anonymität kommen viele nicht zurecht, an großen Unis bist du oft nur eine Matrikelnummer, ob du deine Prüfung machst oder nicht, interessiert dort keinen.
Gerade wenn man sich schon in der Schule mit dem Lernen schwergetan hat, sollte man sich deshalb eher die FHs, Duale Studiengänge und vor allem auch Ausbildungen anschauen. Unser System der dualen Berufsausbildung hat einen hohen Standard, um den wir im Ausland überall beneidet werden.
Stuzubi: Hast du ein paar praktische Tipps zur Berufsorientierung, mit denen ich herausfinde, ob ich studieren soll oder besser in einer Ausbildung aufgehoben bin?
Marvin: Bevor man sich an der Hochschule einschreibt, sollte man sich auf jeden Fall ein paar Mal in einen Hörsaal setzen und den Professor mit seiner Power-Point-Präsentation auf sich wirken lassen. Vorlesungen sind meistens öffentlich, da kann man einfach hingehen.
Und dann sollte man sich anschauen, wie der Unterricht in einer Berufsschule abläuft. Auch da kann man sich mit reinsetzen, man das aber vorher mit der Schule und dem jeweiligen Lehrer abklären.
Wichtig ist es, bei der Berufsorientierung das Bauchgefühl zu aktivieren. Und dazu muss ich raus aufs Feld, wenn ich nur Webseiten lese, funktioniert das nicht. Man kann zum Beispiel ein Gap Year einlegen und in dieser Zeit Praktika machen oder einen Freiwilligendienst, da hat man genügend Freiraum, um Dinge auszuprobieren.
Es ist auch in Ordnung, einfach mal eine Zeit lang zu jobben, um Geld für einen Auslandsaufenthalt zu verdienen. Ich habe zum Beispiel nach der Schule bei McDonald’s gearbeitet. Sowas kann man später auch ruhig in den Lebenslauf schreiben. Damit zeigt man, dass man was erlebt hat und sich in unterschiedliche Arbeitsumgebungen einfügen kann. Auch für einen selbst kann es eine interessante Erfahrung sein, mal zu sehen, wie es ist, als ungelernte Hilfskraft zu arbeiten.
Wann ist ein Studienabbruch sinnvoll?
Stuzubi: Hat das Sich-Ausprobieren in der Phase der Berufsorientierung auch Grenzen? Von welchen Dingen würdest du abraten?
Marvin: Wichtig ist, dass man irgendwas macht. Nach der Schule kann man sich ruhig ein paar Wochen gönnen, aber Monate lang nur rumhängen und Netflix schauen geht nicht. Außerdem sollte man sich Zeit geben und ein Studium oder eine Ausbildung nicht sofort hinschmeißen, nur weil die ersten zwei Wochen nicht so gut gelaufen sind. Die Lebensläufe werden zwar immer bunter, aber das ist kein Freifahrtschein für vier Studienabbrüche. Wenn man merkt, dass ein Weg nicht zu einem passt, sollte man aber den Mut haben zu wechseln. Die Devise „was man einmal begonnen hat, muss man auch zu Ende bringen“ gilt heute nicht mehr in dem Ausmaß, vielmehr ist im Berufsleben Flexibilität gefragt. Die Zeiten, in denen man 50 Jahre im selben Betrieb gearbeitet hat, sind vorbei. Wahrscheinlich werden die meisten der heutigen Abiturienten später mal in Berufen arbeiten, die es jetzt noch gar nicht gibt.
Stuzubi: Bei deinem Coaching zur Berufsorientierung hilfst du Schulabgängern bei der Entscheidungsfindung. Mit welchen Problemen kommen die Leute am häufigsten zu dir?
Marvin: Die meisten schwanken zwischen zwei Optionen. Das sind dann Leute, die sich vorher schon orientiert haben. Manche haben aber auch überhaupt keinen Plan. Häufig fehlt es schlicht und einfach an Wissen über sämtliche Optionen, die möglich sind. Oder die eigenen Berufswünsche weichen von den Vorstellungen der Eltern ab, auch das kann ein Thema sein.
Stuzubi: Studien zufolge sind bei der Berufsorientierung oft die Eltern der erste Ansprechpartner. Läuft man da nicht Gefahr, zu sehr in die Fußstapfen von Mama und Papa zu treten?
Marvin: Manchmal kommen Jugendliche zusammen mit ihren Eltern zu mir, und der Vater erzählt mir dann von den Berufswünschen, die sein Sohn hat. Aber da treffen zwei unterschiedliche Generationen aufeinander. Die Eltern sind ganz anders sozialisiert und viel mehr auf materielle Sicherheit, Kontinuität und Disziplin ausgerichtet. Das ist bei der Generation Z anders, die sind von vornherein in materiellen Wohlstand gebettet, denen geht es mehr um Sinn und Passion als um Karriere. Das sind verschiedene Werte, und darüber sollte man mit den Eltern sprechen. Wichtig ist vor allem, sich darüber auszutauschen und die Eltern ins Boot zu holen, die müssen verstehen, dass ich als junger Mensch meinen eigenen Weg finden muss.
Stuzubi: Wie erkenne ich, ob ein Beruf zu mir passt? Gibt es sichere Anzeichen?
Marvin: Ein gutes Zeichen ist es, wenn ich Lust auf etwas habe. Es muss Passion dabei sein. Gut erkennen kann man das am Wochenende. Das Wochenende ist ja oft eine Art Parallelwelt. Wenn ich mir aber am Samstag denke, „ach wäre doch schon wieder Montag“, dann passt meine Ausbildung oder mein Studium wirklich zu mir. Oder wenn ich privat in der Freizeit Bücher zu meinem Fach lese.
Umgekehrt sollte man auch auf Signale achten, die einem zeigen, dass die Ausbildung oder das Studium nicht passt. Höhen und Tiefen gibt es überall, aber wenn das Tief Monate lang dauert, stimmt etwas nicht.
Spätestens, wenn es psychosomatisch wird, und einem zum Beispiel am Sonntagabend bevor die Woche wieder losgeht regelmäßig schlecht wird, sollten alle Alarmglocken läuten. Wenn man merkt, dass ein Weg nicht der richtige ist, sollte man auf jeden Fall aktiv werden und was ändern.
Stuzubi: Als Buchautor und Coach mit nur 26 Jahren hast du einen eher ungewöhnlichen Werdegang hinter dir. Wie viel Planung steckte hinter deiner Karriere?
Marvin: Das mit dem Buch und dem Coaching, sowas kann man natürlich nicht planen. Ich war nach der Schule erstmal völlig planlos. Nachdem ich ein Duales BWL-Studium abgebrochen habe, bin ich aber sehr tief in mich gegangen und habe mich umfassend informiert. Als ich danach mein Psychologiestudium angefangen habe, wusste ich genau, was ich tat. Deshalb hat das dann auch sehr gut funktioniert.
Stuzubi: Hast du für dich konkrete Zukunftsvisionen? Wo siehst du dich in fünf Jahren?
Marvin: So langfristige Planungen sind in der heutigen schnelllebigen Zeit schwierig. Vieles ergibt sich auch und hängt von unvorhersehbaren Faktoren ab wie zum Beispiel den Leuten, die man kennenlernt. Visionen habe ich aber schon. Ich bin jetzt im Masterstudium, das sollte in fünf Jahren rund sein. Und Ideen für ein zweites Buch habe ich auch. Außerdem will ich mit meinen Coachings natürlich weiterhin vielen Leuten eine gute Berufsorientierung ermöglichen.
Berufsorientierungsmesse Stuzubi für Studium und Ausbildung
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