Nachhaltig, digital, lukrativ – Carsten Haack von der Handwerkskammer Münster gibt im Experteninterview Einblicke in die Ausbildung im Handwerk.
Stuzubi: In vielen Branchen beklagen Unternehmen, dass immer mehr Jugendliche studieren und es schwieriger wird, qualifizierte Nachwuchskräfte für Ausbildungsberufe zu finden. Zeigt sich dieser Trend auch bei der Ausbildung im Handwerk?
Haack: Vor 20 Jahren gab es im Handwerk noch mehr Bewerber als Ausbildungsplätze. Jetzt geht die Entwicklung dahin, dass Jugendliche den höchstmöglichen Schulabschluss, also das Abitur oder Fachabitur wollen, und dann sehen sie weiter. Dass jemand mit 16 Jahren nach der zehnten Klasse mit Mittlerem Schulabschluss von der Schule geht und eine Ausbildung macht, ist heutzutage nicht mehr der Regelfall. Bei Jugendlichen mit Hauptschulabschluss ist das manchmal noch anders, aber die Tendenz weiter auf die Schule zu gehen, um vielleicht doch einen mittleren Bildungsabschluss oder sogar das Fachabitur zu erreichen, nimmt weiter zu. Viele glauben, eine Berufsausbildung wäre eine Sackgasse, aber das stimmt nicht. Man kann es im Prinzip auch mit einem schlechten Hauptschulabschluss nach der Ausbildung noch bis zum Professor bringen.
Stuzubi: Aber eine Ausbildung im Handwerk ist doch auch mit Abitur möglich.
Haack: Natürlich nehmen die Betriebe auch Abiturienten. Etwa 20 Prozent der Azubis im Handwerk haben Abitur oder Fachabitur. Aber viele von ihnen wählen nach einer Ausbildung im Handwerk dann doch die Option, noch zu studieren. Die meisten Unternehmen wünschen und benötigen Leute, die nach der Ausbildung auch noch wenigstens für ein paar Jahre im Betrieb bleiben und mit anpacken. Der Wunschkandidat im Handwerk ist deshalb eher derjenige, der nach der zehnten Klasse mit einem guten Mittleren Abschluss oder mit einem guten Hauptschulabschluss in die Ausbildung geht und sich dann beruflich qualifiziert – übrigens eine durchaus attraktive Option, die oft unterschätzt wird.
Gefragte Berufe im Handwerk
Stuzubi: In welchen Handwerksberufen werden Azubis besonders dringend gesucht?
Haack: In allen Berufen rund um das Thema Energie, da ist der Bedarf weit größer als Leute gefunden werden können. Unternehmen aus den Bereichen Gebäudesanierung, Dämmung und Heizung, die stellen ein. Das war schon in den vergangenen Jahren so, aber jetzt seit dem Ukrainekrieg geht das durch die Decke.
Stuzubi: Das klingt nach grünen Berufen. Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei der Ausbildung im Handwerk?
Haack: Wer sich für Umweltschutz und Nachhaltigkeit interessiert und das umsetzen möchte, sollte sich sofort bei seiner zuständigen Handwerkskammer melden! Es gibt auf jeden Fall zehn bis 20 handwerkliche Berufe aus dem Bereich. Wir von der Handwerkskammer sind auch mit Fridays for Future in Kontakt getreten. Die Betriebe befürworten den Ausstieg aus fossilen Energien. Im Handwerk geht es aber nicht ums Diskutieren und Aufstellen von politischen Forderungen, bei uns wird gearbeitet, damit wir diese Dinge realisieren können. Der Blickwinkel ist hier ein anderer, im Vordergrund steht die technische Machbarkeit. Wenn hier ein entsprechendes Interesse da ist, empfehle ich auf jeden Fall ein Probearbeiten oder ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb aus dieser Branche.
Digitalisierung im Handwerk
Stuzubi: Das zweite große Schlagwort ist die Digitalisierung der Arbeitswelt. Wie digital ist die Ausbildung im Handwerk?
Haack: In bestimmten Berufen ist die Digitalisierung in der Handwerksausbildung längst Standard. Zum Beispiel in den Elektroberufen, in der Gebäudeinstallation oder im Bereich Sanitär- und Klimatechnik. Die Baubranche fordert aktuell mehr Digitalisierung in der Ausbildung, da ist man dran, aber die Änderung von Ausbildungsverordnungen dauert Jahre. In den Betrieben ist das anders, da bekommen die Azubis oft am ersten Tag auf der Baustelle ihr Tablet, mit dem sie Teile bestellen können. Es gibt auch viele Weiterbildungsangebote zur Digitalisierung und zu neuen Technologien im Handwerk. Das ist noch nicht wie eine Aufstiegsfortbildung zum Meister, aber es qualifiziert, und das zeigt sich dann auch in der Bezahlung und Wertschätzung.
Stuzubi: Stichwort Meister: Mit der Möglichkeit einer Meisterprüfung gibt es gerade im Handwerk besondere Karrieremöglichkeiten mit der Option einer Unternehmensgründung und entsprechend guten Verdienstaussichten. Wie läuft das ab?
Haack: Früher musste man erst drei Jahre Berufserfahrung haben, bevor man sich zum Meister anmelden konnte. Inzwischen fällt das häufig weg und man kann nach einer Ausbildung im Handwerk sofort starten. Teilweise fangen Azubis sogar schon während ihrer Ausbildung mit ersten Vorbereitungen zum Meister an. Wir von der Handwerkskammer sind darüber nicht immer ganz glücklich und empfehlen das nur sehr guten Auszubildenden. Denn die Qualifikation zum Meister oder zur Meisterin hat ein deutlich höheres Niveau als die Gesellenprüfung und in der Regel gehört dazu auch eine gute Portion Berufserfahrung. Durchlässigkeit im Bildungswesen ist wichtig, aber man will ja auch bestimmte Qualitätsstandards halten. Alternativ zum Meister gibt es außerdem im Handwerk viele Weiterbildungsangebote, zum Beispiel in neuen Technologien, oder man macht nach der Ausbildung im Handwerk einen Betriebswirt.
Ausbildung im Handwerk nach dem Studienabbruch
Stuzubi: Vor allem bei Abiturientinnen und Abiturienten ist eine Ausbildung im Handwerk teilweise auch wegen seiner kreativen Aspekte eine Option. Zu Recht?
Haack: Gerade unter den Mädchen gibt es immer wieder Studienaussteigerinnen, die sich überlegen, eine Ausbildung im Handwerk für den Beruf Tischlerin zu machen. Die Vorstellung, als Tischler*in eigene Möbel entwerfen zu können, entspricht aber nicht unbedingt der Realität. Die wenigsten Kunden sind noch bereit, für ein in Handarbeit hergestelltes Unikat viel Geld auszugeben. Und wenn dann mal ein Einzelstück produziert wird, ist das in der Regel eine Auftragsarbeit. Der Kunde will vielleicht eher Gelsenkirchener Barock, und ob das dann so zur kreativen Selbstverwirklichung passt… Das Handwerk bietet aber schon Möglichkeiten im gestalterischen Bereich, zum Beispiel wenn man nach der Ausbildung noch eine Akademie besucht und dann ins Produktdesign geht. Hier gibt es immer wieder Start-ups, vor allem im Luxussegment. Gestalterische Kreativität ist im Handwerk aber nicht so sehr das Kernthema, sondern gefragt ist vielmehr Kreativität im Finden von Lösungsansätzen, wie man eine bestimmte Aufgabe praktisch umsetzen kann. Wenn einem das gelingt, das kann einen sehr erfüllen.
Stuzubi: Was würden Sie Schüler*innen raten, die sich für eine Ausbildung im Handwerk interessieren?
Haack: Jugendliche, die ins Handwerk wollen, können sich bei der Handwerkskammer beraten lassen. Oft werden Berufe hauptsächlich nach ihrem Image gewählt, in der Realität ist die Tätigkeit aber dann ganz anders, als man dachte. Viele Schüler*innen switchen nach einer Beratung komplett um. Wenn ein Beruf in Frage kommt, ist mein Tipp immer: Am besten einfach ausprobieren und einen Probetag oder ein Praktikum vereinbaren. Gerade kleinere Handwerksbetriebe sind dafür sehr offen, da kann man einfach hingehen und fragen.
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