In vielen großen Metropolen feiert die LGBT*IQ-Bewegung den Christopher Street Day. Auch Schulen starten zum Pride Month im Juni verschiedene Aktionen. Trotzdem stoßen queere Jugendliche in der Schule, der Ausbildung und teilweise auch im Studium weiterhin oft noch auf Ablehnung, sagt die Expertin Dr. Claudia Krell von der Fachstelle Fortbildung des Vereins Letra. Über viele Jahre hinweg hat sie mehrere Forschungsprojekte zu Lebenssituationen und Diskriminierungserfahrungen queerer Jugendlicher in Deutschland durchgeführt und ist eine der Autor*innen des Buches „Coming-out – und dann? Coming-out-Verläufe und Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans* und queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen“. Stuzubi hat mit ihr gesprochen.
Stuzubi: Mit dem Christopher Street Day und vielen weiteren Aktionen feiert die LGBT*IQ-Bewegung im Juni auf der ganzen Welt den Pride Month. Wie bekannt ist der Pride Month bei Jugendlichen in Deutschland?
Claudia Krell: Dazu gibt es keine gesicherten Daten. In Deutschland ist vor allem der Christopher Street Day ein Begriff, der Pride Month ist hier erst seit einigen Jahren bekannt. In den Städten machen die Schulen teilweise was dazu, oder es gibt Aktionen zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans*feindlichkeit. Wie sehr Jugendliche das Thema auf dem Schirm haben, hängt aber oft von ihrer Biografie ab, ob sie selbst was damit zu tun haben.
Stuzubi: Ist ein Coming Out heute für Jugendliche einfacher als noch vor zehn oder 20 Jahren?
Claudia Krell: Langzeitstudien haben wir dazu nicht. Es ist anders, ob es einfacher ist, weiß ich nicht. Es gibt ja ein inneres und ein äußeres Coming Out. Das innere Coming Out, also das Bewusstwerden, findet heute früher statt, u.a. weil mehr Informationen zu dem Thema verfügbar sind. Rund 60 Prozent der Jugendlichen, die nicht heterosexuell bzw. cisgeschlechtlich sind, wissen das schon mit 16 Jahren. In diesem Alter ist man aber in einer sehr verwundbaren Phase. Viele haben zum Beispiel Angst davor, sich in der Schule zu outen und warten damit, bis sie mit dem Schulabschluss fertig sind.
Wie geht es queeren Jugendlichen in der Schule?
Stuzubi: Wie wird an Schulen mit queeren, trans+ und intergeschlechtlichen Jugendlichen umgegangen?
Claudia Krell: Die Themen Sexualität und Geschlecht sind an Schulen omnipräsent, aber nur heterosexuell und binär. Angefangen über die Toiletten bis zum Sportunterricht wird zum Beispiel nach männlichem und weiblichem Geschlecht getrennt. Queere Lebensformen kommen im Sexualkundeunterricht, wenn überhaupt, oft nur als Abweichungen von der Normalität vor oder bei der HIV-Aufklärung in Verbindung mit schwulem Sex. Auch in der Kommunikation zwischen den Schüler*innen taucht sexuelle und geschlechtliche Vielfalt hauptsächlich in Form von Schimpfwörtern auf. An der Schule werden keine positiven Assoziationen mit queeren, nichtbinären und trans* Lebensformen im Sinne von gleichberechtigten Alternativen vermittelt. Da muss sich was ändern, um queeren Jugendlichen einen sicheren Rahmen zu bieten. Es gibt auch sehr gutes Unterrichtsmaterial dazu. Die Schule hätte hier ein Riesenpotenzial, das wird viel zu wenig genutzt.
Stuzubi: Wohin können sich Schüler*innen wenden, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Zugehörigkeit gemobbt werden?
Claudia Krell: Eine spezielle Stelle für Mobbing an Schulen im Bezug auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gibt es nicht. Die Jugendlichen können sich aber an die allgemeine Beratung, zum Beispiel von regionalen queeren Netzwerken wenden. Je nach Schule sind außerdem unter Umständen bei der Schulsozialarbeit oder unter den Schulpsycholog*innen Ansprechpartner*innen für das Thema zu finden. Teilweise sind Schulen mit Siegeln wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ da gut aufgestellt, es hängt aber auch immer davon ab, wie die einzelnen Schulen das dann umsetzen.
Uni und Hochschule: Oft scheitert es an der Bürokratie
Stuzubi: Müssen queere, trans- und inter*geschlechtliche junge Menschen heutzutage im Studium noch mit Problemen rechnen, oder ist Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung an Unis und Hochschulen inzwischen kein Thema mehr?
Claudia Krell: Im Studium wird es in der Regel einfacher. Es gibt mehr Möglichkeiten und Freiheiten und man ist nicht mehr in einem festen Klassenverband, aus dem man nicht rauskommt. Die Leute sind außerdem älter und haben sich schon mehr gefunden. Trotzdem gibt es auch an der Uni Diskriminierung, wenn auch in anderem Umfang. Bei der sexuellen Orientierung können die Menschen selbst entscheiden, inwieweit sie sich öffnen. Bei trans*, Inter* oder nicht-binären Personen geht das aber oft nicht. Die werden zum Beispiel immer wieder falsch angeschrieben, weil es in den Eingabemasken keinen Platz für die gewünschte Anrede gibt, oder Geschlecht binär erhoben wird, obwohl der Eintrag „divers“ schon seit 2018 im Geburtenregister möglich ist. Aber es scheitert an der Bürokratie. Das muss sich ändern, denn für nicht cisgeschlechtliche Menschen ist das oft sehr belastend.
Diskriminierung in der Ausbildung
Stuzubi: Wie sieht es in Ausbildungsbetrieben aus? Gibt es hier bestimmte Branchen oder Berufsfelder, in denen queere, trans* oder nonbinäre Azubis Diskriminierung befürchten müssen?
Claudia Krell: Queere, trans- und intergeschlechtliche Menschen müssen immer mit Diskriminierung rechnen. In der Ausbildung ist Diskriminierung ja sogar schon ein Thema, wenn sich Jungen für einen typischen Mädchenberuf entscheiden und umgekehrt, auch heute noch. Selbst da kommen blöde Sprüche von Mitschschüler*innen oder Lehrkräften. Es gibt aber Unterschiede. In schulischen Ausbildungen, in der Pflege oder sozialen Berufen sind zum Beispiel häufiger queere Menschen zu finden, oder auch in künstlerisch-kreativen Berufen.
Stuzubi: Sollten sich queere Jugendliche im Bewerbungsverfahren für einen Ausbildungsplatz oder ein duales Studium outen? Wenn ja, was ist der günstigste Zeitpunkt dafür?
Claudia Krell: Coming-out ist eine sehr individuelle Sache. Trans* und nichtbinären Menschen bleibt das häufig nicht erspart, da wird es z.B. beim Namen auf Zeugnissen oder im Anschreiben sichtbar. Aber bei der sexuellen Orientierung gibt es eigentlich erstmal keine Veranlassung, das öffentlich zu machen, wenn mensch das nicht möchte. Einige sagen sich zum Beispiel, bevor ich mich oute arbeite ich erstmal ein Jahr, dann lernen mich die Kolleg*innen kennen und sehen, ich mache meinen Job gut und bin nett. Man sollte einfach die Vor- und Nachteile abwägen und sich outen, wenn man das möchte.
Stuzubi: Haben Sie für queere, trans* und intergeschlechtlichee Schüler*innen ein paar Tipps zur Berufs- und Studienwahl?
Claudia Krell: Sie sollen sich auf jeden Fall was suchen, was ihnen Spaß macht, wie die anderen auch, und etwas, wo sie sich sicher fühlen. Eigentlich sehe ich es aber eher andersrum, Schulen, Unis und Ausbildungsbetriebe brauchen Tipps, um besser mit queeren, trans* und nicht-binären Bewerber*innen umzugehen. Die Verantwortung liegt bei uns als Gesellschaft, dass queere Menschen sich sicher und wohl fühlen.
Stuzubi: Vielen Dank für das Gespräch, Claudia Krell.
m/w/d gesucht: Studium und Ausbildung auf der Schülermesse Stuzubi
Auf der Berufsorientierungsmesse Stuzubi kannst du digital und an 15 Standorten in Deutschland Universitäten, Hochschulen und Ausbildungsbetriebe kennenlernen. Stuzubi ist ein Kooperationspartner der Initiative Klischeefrei, die sich für eine Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees stark macht. Infos unter: https://www.klischee-frei.de